Der Auskunftsanspruch nach Ausschlagung des Erbteils
Einleitung:
Um einen (Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungs-) Anspruch beziffern zu können, ist es von enormer Bedeutung, die finanzielle Situation des/r Erblasser*in nicht nur ungefähr einschätzen zu können, sondern genauestens über sie informiert zu sein. Inwieweit ist ein Pflichtteilsberechtigter, der seinen Erbteil bereits ausgeschlagen und seinen Pflichtteilsanspruch abgetreten hat, berechtigt einen Auskunftsanspruch zu erheben? Diese Frage nach dem Zusammenhang von Auskunfts- und Zahlungsanspruch beschäftigte den Bundesgerichtshof (BGH) in einem überaus interessanten Fall.
Sachverhalt:
Der 2015 verstorbene Erblasser und seine bereits vorverstorbene Ehefrau hinterlassen fünf Kinder, die sie zuvor als Erben eingesetzt hatten. Für den Beklagten und einen weiteren Bruder wurden Grundstücksvermächtnisse angeordnet. Gleichzeitig bestellte der Erblasser den Beklagten zum Testamentsvollstrecker. Der Kläger und seine beiden Schwestern schlugen die Erbschaft nach § 2306 BGB – auch für ihre minderjährigen Kinder – aus. Der Kläger trat nach dem Tod des Erblassers (s)einen Pflichtteilsanspruch i. H v. 12.000 € durch Vergleich an seine Stieftochter ab. Er behielt sich aber vor, diesen Anspruch auf eigene Veranlassung und Kosten rechtlich zu verfolgen. Ab dem 30.10.2018 war die Stieftochter berechtigt den Anspruch im eigenen Namen geltend machen. Nun beantragte der Kläger – nach erfolgloser Aufforderung – den Beklagten zu verurteilen, Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses über alle ergänzungspflichtigen und ausgleichspflichtigen Zuwendungen zu erteilen.
Instanzengang:
Das Landgericht Heilbronn (LG) gab dieser Klage in Bezug auf die ergänzungspflichtigen Zuwendungen statt. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) wies die Berufung des Beklagten zurück. Das Landgericht habe zu Recht einen Auskunftsanspruch des Klägers aus § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB bejaht. Auch ein Pflichtteilsberechtigter, der sein Erbe ausgeschlagen habe – hier der Kläger – sei Auskunftsgläubiger i. S. d. § 2314 BGB und ein Miterbe – hier der Beklagte – Auskunftsschuldner. Auf Grund der Beschränkung der Höhe des abgetretenen Anspruchs und durch die vereinbarte Verpflichtung der rechtlichen Verfolgung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs könne der Kläger Auskunft verlangen. Der Beklagte sei zudem über die Abtretung informiert worden.
BGH:
Der BGH stimmte dem Berufungsgericht zu und nahm ebenfalls einen Auskunftsanspruch des Klägers aus § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB an. Zunächst hatte der BGH zu klären, ob der Kläger ein „Nichterbe“ i. S. d. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Nur ein solcher kann eine Auskunft nach § 2314 BGB verlangen. Gerade diese Frage sei jedoch umstritten.
Eine Ansicht vertritt die Auffassung, dass eine Erbausschlagung den ehemaligen Erben gerade nicht in die Rechtsstellung eines Nichterben versetzt: Denn als Nichterbe könnte er Auskunft nach § 2314 BGB verlangen und wäre damit besser gestellt als als Erbe.
Der BGH folgte jedoch der überwiegend vertretenen Auffassung, dass eine Erbausschlagung den Ausschlagenden in die Rechtsstellung eines „Nichterben“ versetze, zumal er nach der Ausschlagung den Pflichtteil verlangen könne. Der Wortlaut des „nicht Erbe“ in § 2314 S. 1 BGB umfasse sowohl die Enterbung des Pflichtteilsberechtigten als auch die Erbausschlagung – wie im vorliegenden Fall. Der Wortlaut „ist“ verweise zudem nicht darauf, dass derjenige, der „nicht Erbe“ geworden ist, niemals Erbe „war“. Zumal der ausschlagende Erbe nach § 1953 Abs. 1 BGB von Anfang an als Nichterbe anzusehen sei.
„Ein Pflichtteilberechtigter ist nach Ausschlagung seines Erbteils gemäß § 2306 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB nicht Erbe im Sinne von § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB und der Auskunftsanspruch aus § 2314 Abs. 1 BGB steht ihm zu.“ (Rn. 19)
So mache § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB auch keine Ausnahmeregelung in Bezug auf das Auskunftsrecht und unterscheide auch nicht zwischen einem pflichtteilsberechtigten Nichterben und einem pflichtteilsberechtigten Miterben. Die Entstehungsgeschichte der Norm zur Auskunftspflicht des Erben spreche ebenfalls für die durch den BGH erfolgte Auslegung: § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB sollte von Beginn an alle in Betracht kommenden Fälle erfassen, also auch die in denen der Pflichtteilsberechtigte sein Erbe ausschlägt. Dies entspräche seinem Sinn und Zweck.
„Bei den Ansprüchen aus § 2314 Abs. 1 BGB handelt es sich um unselbständige Hilfsansprüche, die es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen sollen, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen […].“ (Rn. 28)
Auch sei es nicht richtig, dass der Pflichtteilsberechtigte keinen Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 BGB benötigt. Wenn der Pflichtteilsberechtigte das Erbe aus einem nicht wirtschaftlichen Grund ausschlägt oder er vor der Ausschlagung nicht die genaue Höhe des Pflichtteilsanspruchs ermittelt, so sei er zur Ermittlung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs auf die Auskunft des Erben über den Bestand und den Wert des Nachlasses angewiesen. Zu beachten sei an dieser Stelle auch die kurze Ausschlagungsfrist von sechs Wochen. Der Pflichtteilsberechtigte sei sodann nach der Ausschlagung auch nicht rechtlich bessergestellt. Warum zudem einem pflichtteilsberechtigten Nichterben Auskunftsansprüche zustehen sollten, während dem Miterben ein solcher verwehrt bleiben sollte, sei nicht ersichtlich. Aus welchen Gründen der Pflichtteilsberechtigte das Erbe ausgeschlagen habe, sei nicht von Relevanz. Es sei weiterhin nicht ersichtlich, dass der Kläger neben seinem Zahlungsanspruch auch seinen Auskunftsanspruch an seine Stieftochter abgetreten habe.
Hinweis:
Eine genaue Betrachtung des Wortlautes und Sinn und Zwecks der streitgegenständlichen Regelung bringt den BGH also vorliegend zu seinem nachvollziehbaren Ergebnis. Eine Behebung des Problems, dass verschiedene Personen, die von einem Erbfall betroffen sind, unterschiedliche Kenntnisstände von der finanziellen Situation des Erblassers haben, erfolgt in dem Fall des ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten durch die Gewährung eines Auskunftsanspruchs i. S. d. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB.
Quelle: BGH, Versäumnisurteil v. 30.11.2022 – IV ZR 60/22
Gesetzestext:
§ 2314 BGB – Auskunftspflicht des Erben
- Ist der Pflichtteilsberechtigte nicht Erbe, so hat ihm der Erbe auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass er bei der Aufnahme des ihm nach § 260 vorzulegenden Verzeichnisses der Nachlassgegenstände zugezogen und dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Er kann auch verlangen, dass das Verzeichnis durch die zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufgenommen wird.
- Die Kosten fallen dem Nachlass zur Last.
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