Das Europäische Nachlasszeugnis

Das Europäische Nachlasszeugnis

Das Europäische Nachlasszeugnis

Einleitung:
Ein wegweisendes, sehr interessantes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Geklärt werden sollten die Anforderungen an ein Europäisches Nachlasszeugnis bzw. welche Anforderungen ein Gericht aus einem europäischen Mitgliedsstaat – hier: Litauen – an ein solches Zeugnis zum Zwecke der Grundbucheintragung stellen kann. Da der Rechtsmittelführer in Deutschland wohnhaft war, stand auch die deutsche Gerichtspraxis in Bezug auf die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vor dem EuGH auf dem Prüfstand.

Sachverhalt:
Der Rechtsmittelführer beantragte – als Alleinerbe nach seiner in Deutschland wohnhaften und verstorbenen Mutter – ein Europäisches Nachlasszeugnis, da das Nachlassvermögen seiner Mutter zum Teil in Litauen belegen war. Daraufhin erhielt der Rechtsmittelführer sowohl einen Erbschein als auch ein Europäisches Nachlasszeugnis. Dieses wies ihn als Alleinerben, der die Erbschaft vorbehaltlos angenommen habe, aus. Mithilfe des Erbscheins und des Europäischen Nachlasszeugnisses beantragte der Rechtsmittelführer sodann beim litauischen Staatlichen Registerzentrum sein Eigentum an dem unbeweglichen litauischen Vermögen der Erblasserin in das (dortige) Grundbuch einzutragen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass das Europäische Nachlasszeugnis nicht alle für die Identifizierung des unbeweglichen Vermögensgegenstandes erforderlichen Angaben enthalte. Nachdem der Rechtsmittelführer nun beim Streitschlichtungsausschuss der Zentralen Registerstelle des Registerzentrums Widerspruch einlegte, der Ausschuss die vorherige ablehnende Entscheidung jedoch bestätigte, erhob der Rechtsmittelführer Klage beim Regionalverwaltungsgericht Litauen. Dieses wies die Klage als unbegründet zurück. Daraufhin legte der Rechtsmittelführer ein Rechtsmittel beim litauischen Obersten Verwaltungsgericht ein. Dieses setzte das Verfahren aus und wandte sich an den EuGH.

EuGH:
Der EuGH fasst die Rechtsfrage des Obersten Verwaltungsgerichts Litauens wie folgt zusammen:

„Somit möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. l, Art. 68 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die vorsieht, dass der Antrag auf Eintragung eines beweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats abgelehnt werden kann, wenn es sich bei dem einzigen zur Stützung diesen Antrags vorgelegten Schriftstück um ein Europäisches Nachlasszeugnis handelt, das diesen unbeweglichen Vermögensgegenstand nicht identifiziert.“ (Rn. 36)

In seiner Stellungnahme erläuterte der EuGH, dass das Europäische Nachlasszeugnis ein autonomes Rechtsinstitut der Europäischen Union darstelle. Die in Rede stehenden Bestimmungen müssten unter den unionsrechtlichen Zielen der Erleichterung der Durchsetzung von Rechten im Zusammenhang mit einem Erbfall bzw. der Ermöglichung der Nachlassregelung im Gebiet der Union ausgelegt werden. Diesen Zielen diene auch das Europäische Nachlasszeugnis.

„Vor diesem Hintergrund hat der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung Nr. 650/2012 das Europäische Nachlasszeugnis eingeführt, das es gemäß dem 67. Erwägungsgrund dieser Verordnung u. a. den Erben ermöglichen soll, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachzuweisen, um eine Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union zügig, unkompliziert und effizient abzuwickeln.“ (Rn. 42)

Das Europäische Nachlasszeugnis diene gerade dem Nachweis der Rechtsstellung bzw. der Rechte der in dem Zeugnis benannten Person. Hierbei entfalte das Nachlasszeugnis – ohne das Erfordernis eines besonderen Verfahrens – in allen Mitgliedstaaten die gleiche Wirkung. Grundsätzlich könne diejenige Person, der ein Nachlasszeugnis in einem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, dieses in jedem Mitgliedstaat verwenden. Hierbei würde vermutet, dass alle Angaben in dem Nachlasszeugnis den realen Gegebenheiten entsprächen. Das Nachlasszeugnis müsse hierbei alle Mindestangaben enthalten, die die in Rede stehende Verordnung für das Nachlasszeugnis vorsähe. Dabei müsse von den Ausstellungsbehörden berücksichtigt werden, dass sie dazu verpflichtet seien, ein bestimmtes Formblatt (Formblatt V in Anhang 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014) zu verwenden. Der Inhalt des Zeugnisses variiere jedoch – je nachdem, zu welchem Zweck das Nachlasszeugnis erstellt werden würde.

Allerdings könnten die rechtlichen Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register auch durch nationales Recht geregelt und somit aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Der Mitgliedstaat selbst könne also die Voraussetzungen, die dieser für die Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Vermögensgegenständen für notwendig hält, festlegen. Hieran ändere auch die in Rede stehende Verordnung nichts. Daraus ergäbe sich dann auch, dass die zuständige Behörde einen Antrag, der diese Voraussetzungen nicht erfülle, ablehnen dürfe. Eine solche Ablehnung stelle hierbei nicht die Gültigkeit des Nachlasszeugnisses an sich in Frage.

„Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. l, Art. 68 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass der Antrag auf Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats abgelehnt werden kann, wenn es sich bei dem einzigen zur Stützung dieses Antrags vorgelegten Schriftstück um ein Europäisches Nachlasszeugnis handelt, das diesen unbeweglichen Vermögensgegenstand nicht identifiziert.“ (Rn. 53)

Hinweis:
Nach dem Urteil des EuGH ist eine zuständige Behörde verpflichtet, für das Europäische Nachlasszeugnis das Formblatt V zu verwenden. Obwohl die bisherige deutsche Rechtsprechung gerade nicht vorsah, dass ein deutsches Gericht auch die entsprechenden Angaben zu einem – in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Nachlassgegenstand – in das Europäische Nachlasszeugnis aufnehmen muss, kann genau dies nun von der antragstellenden Person gefordert werden. Dies bedeutet einen Mehraufwand für die Gerichte, geht aber – so meint es wohl der EuGH – mit einer größeren Rechtssicherheit für die antragstellende Person einher.

Quellen: EuGH, Urt. v. 09.03.2023 – C-354/21
(ergänzend hinzugezogen: DNotI-Report 20/2023, S. 158 f.)

Relevante Norm:

Artikel 69 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

[…]
(5) Das Zeugnis stellt ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats dar, unbeschadet des Artikels 1 Absatz 2 Buchstaben k und l.

Header & Beitragsbild: ©AdobeStock: Ingo Bartussek

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