Irrtum über die nächstberufene Person

Irrtum über die nächstberufene Person

Irrtum über die nächstberufene Person

Einleitung:
Mit dem Anfall der Erbschaft stellt sich unweigerlich auch die Frage nach der Ausschlagung derselben. Da die Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 Abs. 1 BGB nur sechs Wochen beträgt, sollte schon zu Beginn des Erbfalls jede zukünftige Handlung, sei es die einer Annahme oder die einer Ausschlagung, vor ihrem rechtlichen Hintergrund überdacht und geplant werden. Dies zeigt auch ein interessanter Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH).

Sachverhalt:
Nachdem der Erblasser verstorben war, schlugen sämtliche seiner Abkömmlinge durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber dem Nachlassgericht, mit dem Ziel, die Erbschaft aus, dass die Witwe des Erblassers Alleinerbin würde. Woraufhin die Witwe des Erblassers einen Erbschein beantragte, der sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausweisen sollte. Das Amtsgericht Essen (AG) – als zuständiges Nachlassgericht – wies die verwitwete Frau des Erblassers darauf hin, dass sie nur Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge sei, wenn keine weiteren Erben erster oder zweiter Ordnung noch Großeltern vorhanden seien. Nachkommend focht ein gemeinsamer Sohn des Erblassers und seiner Frau seine Ausschlagungserklärung durch notariell beglaubigte Erklärung an, weil er und seine Geschwister nur deshalb die Erbschaft ausgeschlagen hätten, weil sie davon ausgingen, dass durch die Ausschlagung ihre Mutter Alleinerbin würde. Etwaige Halbgeschwister, die nun nach ihrem Vater erben würden, seien weder den Abkömmlingen, die ausgeschlagen haben, noch der verwitweten Mutter bekannt gewesen. Die Ehefrau des Erblassers beantragte daraufhin einen Erbschein, für sich und den an-fechtenden Sohn als Miterben zu ½. Das Nachlassgericht erachtete die Anfechtung des Sohnes als unwirksam und wies den Erbscheinantrag zurück. Hiergegen wendete sich die Beschwerde der Beteiligten.

OLG Hamm:
Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) führte eine Ermittlung zur Identität der Erben zweiter Ordnung durch, welche ergab, dass der Erblasser nicht nur Halbgeschwister, sondern auch eine Vollschwester hatte. Der anfechtende Sohn ergänzte seine Anfechtungserklärung daraufhin da-hingehend, dass ihm auch die Vollschwester des Erblassers unbekannt gewesen sei. Nach der Ansicht des OLG habe der Sohn des Erblassers die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Die Anfechtung dieser Ausschlagung sei jedoch unwirksam. Der Rechtsirrtum des Anfechtenden grundsätzlich unbeachtlich. Durch seinen unbeachtlichen Motivirrtum habe sich der Anfechtende nämlich gerade nicht über die Rechtsfolge – also den Verlust der Erbenstellung – sondern über den Anfall bei einer bestimmten Person geirrt. Wem die Erbschaft anfalle, bestimme sich allerdings nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge oder den Regeln der gewillkürten Erbfolge. Auch sei die Unkenntnis bezüglich der Existenz etwaiger (Halb-)Geschwister des Erblassers nicht kausal für die Ausschlagungserklärung (geworden). Das OLG wies die Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten.

BGH:
Der BGH hielt diese Rechtsauffassung für zutreffend. Grundsätzlich sei streitig, ob bei einer lenkenden Ausschlagung, bei der sich der Ausschlagende den Anfall seines Erbteils an eine bestimmte Person erhofft, ein Irrtum über die Rechtsfolgen vorläge. Der BGH kommt jedoch zu dem Schluss:

„Wenn sich der Ausschlagende bei Abgabe der Ausschlagungserklärung über die nach seinem Wegfall an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende konkrete Person irrt, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Nebenfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Es liegt ein Motivirrtum vor, der nicht zur Anfechtung berechtigt.“ (Rn. 18)

Diese Annahme werde zudem von der Systematik und des Wortlautes des § 1953 BGB und der Entstehungsgeschichte des BGB gestützt.

Hinweis:
Dieser Beschluss des BGH zeigt deutlich, warum eine intensive Auseinandersetzung mit den für die jeweilige Handlung infrage kommenden Normen unerlässlich ist. Sowohl die Ausschlagung der Erbschaft als auch die Anfechtung (der Ausschlagung) sind Rechtsinstitute, die nicht nur ein umfangreiches Wissen bezüglich der Kommentarliteratur, sondern auch bezüglich der aktuellen Rechtsprechung voraussetzen.

Quelle: BGH, Beschl. v. 22.03.2023 – IV ZB 12/22

Relevante Normen:

§ 1953 BGB – Wirkung der Ausschlagung
(1) Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so gilt der Anfall an den Ausschlagenden als nicht erfolgt.
(2) Die Erbschaft fällt demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte; der Anfall gilt als mit dem Erbfall erfolgt.
(3) Das Nachlassgericht soll die Ausschlagung demjenigen mitteilen, welchem die Erbschaft infolge der Ausschlagung angefallen ist. Es hat die Einsicht der Erklärung jedem zu gestatten, der ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

Header: ©AdobeStock: Ingo Bartussek

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