Der Härtefall des § 27 VersAusglG
Einleitung:
Zu Beginn des Jahres beschäftigte sich der BGH mit einem besonders interessanten Fall zum Versorgungsausgleich. § 1587 BGB legt fest, dass zwischen den geschiedenen Ehegatten ein Ausgleich von im In- oder Ausland bestehenden Anrechten nach Maßgabe des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) stattzufinden hat. Der in dem Beschluss des BGH im Fokus stehende § 27 VersAusglG regelt jedoch, dass in bestimmten Fällen von einem Versorgungsausgleich abgesehen werden kann.
Sachverhalt:
Derweil der Ehemann während der Ehe ein Anrecht in der Ärzteversorgung erwarb – Grundversorgung von 3.515,86 € monatlich, mit korrespondierendem Kapitalwert von 317.960,05 € und einer freiwilligen Zusatzversorgung –, erhielt auch die Ehefrau ein Anrecht in der Ärzteversorgung – monatlicher Rentenanspruch von 768,29 €, mit korrespondierendem Kapitalwert von 69.480,85 €. Weiterhin verfügte die Ehefrau über ein Anrecht „aus einem nicht vollständig geklärten Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung, bei dem jedenfalls Kindererziehungszeiten bisher unberücksichtigt sind“ (Rn. 5). Das Familiengericht sah von einem Versorgungsausgleich unter Anwendung des § 27 VersAusglG ab. Die Ehefrau habe gegen ihre Mitwirkungspflichten verstoßen, indem die Umstände eines ihrer Rentenkontos nicht vollständig geklärt werden konnten.
OLG Hamm:
Auch das Oberlandesgericht Hamm (OLG) nahm einen Einzelfall im Sinne des § 27 VersAusglG an. Das OLG begründete die Versagung der Durchführung des Versorgungsausgleichs jedoch mit einer groben Unbilligkeit derselben. Da die Ehefrau über ein geerbtes Vermögen in Höhe von 4 Mio. € verfüge, von ihrem Ehemann eine Ausgleichszahlung in Höhe von 342.500 € und einen Miteigentumsanteil an einer Ferienimmobilie erhalten habe und weiterhin u. a. monatliche Mieteinnahmen von 16.500 € erhalte, bestehe zwischen den Ehegatten ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht.
BGH:
Dieser Ansicht folgte der BGH jedoch nicht. Grundsätzlich sei ein Fall des § 27 VersAusglG nur dann gegeben, wenn im konkreten Einzelfall dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Gewährleistung des konstanten und gleichmäßigen Profitierens von während der Ehezeit erworbenen Anrechten in unerträglicher Weise widersprochen würde. Hierbei seien die wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse der beiden Ehegatten abzuwägen. Die ständige Rechtsprechung nehme einen solchen Fall dann an, wenn abzusehen sei, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte über ein solch hohes Vermögen verfüge, dass seine Altersversorgung in vollem Maße gesichert und der ausgleichspflichtige Ehegatte auf die in Zeiten der Ehe erworbenen Anrechte dringend angewiesen sei. Zwar sei in dem vorliegenden Fall die Ehefrau in vollem Maße abgesichert, jedoch sei der Ehemann nicht dringend auf die während der Ehe erworbenen Anrechte angewiesen:
„Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts fehlt es nach den getroffenen Feststellungen jedoch an der Voraussetzung, dass der Ehemann auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts in einer Weise dringend angewiesen ist, die es rechtfertigt, von dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, nämlich eine dauerhafte gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, abzuweichen.“ (Rn. 17)
Hinweis:
Es bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Annahme eines Falles des § 27 VersAusglG um eine absolute Ausnahme handelt. Wie in dem vorliegenden Fall, ist grundsätzlich ein Versorgungsausgleich zwischen den Ehegatten durchzuführen – auch wenn dieser gegebenenfalls zugunsten des wirtschaftlich stärkeren Ehegatten erfolgt. Deswegen ist an dieser Stelle auf § 6 VersAusglG zu verweisen, nach welchem die Ehegatten eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich schließen und diesen somit aktiv gestalten können. Eine notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung schafft nicht nur Klarheit über die Modalitäten des Versorgungsausgleichs, sondern auch Rechtssicherheit und ist daher zweifellos empfehlenswert.
Quelle: BGH, Beschl. v. 31.01.2024 – XII ZB 259/23
Relevante Norm:
§ 27 VersAusglG
Ein Versorgungsausgleich findet ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen.
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