Eine sittenwidrige Auflage im Testament

Eine sittenwidrige Auflage im Testament

Eine sittenwidrige Auflage im Testament

Einleitung:
Durch ein Testament lässt sich nicht nur regeln, wem ein Teil der Erbschaft zukommen soll, zeitgleich können durch ein Testament der erbenden Person auch Pflichten auferlegt werden. § 1940 BGB nennt diese Verpflichtungen „Auflagen“. In diesem Jahr beschäftigte sich das Oberlandesgericht Hamm (OLG) mit der Wirksamkeit einer solchen Auflage und ihrer vermeintlichen Sittenwidrigkeit.

Sachverhalt:
In dem vorliegenden Fall hinterließ die Erblasserin ein notarielles Testament, in welchem sie ihre Tochter und ihre Enkelin zu je ½ als Erbinnen einsetzte. Zur Erbmasse gehörten mehrere Grundstücke. In dem Testament formulierte die Erblasserin die Auflage, dass die Erbinnen dafür Sorge zu tragen hätten, dass der langjährige Lebensgefährte der Tochter und Ziehvater der Enkelin der Erblasserin die vererbten Grundstücke nicht betrete. Weiterhin sei das Betretungsverbot dem Lebensgefährten unverzüglich schriftlich mitzuteilen und den Erbinnen sei es untersagt, ein Grundstück oder Teile des Grundstücks an den Lebensgefährten oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen. Läge ein Verstoß durch die Erbinnen gegen diese Auflagen vor, so habe der Testamentsvollstrecker die Grundstücke zu veräußern und den Verkaufserlös nur zu ¼ an die Erbinnen auszukehren. Die Erbinnen sahen diese Auflage als sittenwidrig an und beantragten vor dem Landgericht Bochum (LG) festzustellen, dass das Betretungsverbot nichtig sei. Der beklagte Testamentsvollstrecker beantragte die Klage abzuweisen, da die Erblasserin mit dem Betretungsverbot gerade hätte verhindern wollen, dass sich der Lebensgefährte die Immobilie nach dem Tod der Erblasserin aneigne oder er die Tochter der Erblasserin durch handwerkliche Arbeiten an der Immobilie in ein Abhängigkeitsverhältnis setze.

LG Bochum:
Auch das LG Bochum sah die Auflage als nichtig an. Zwar könne die Sittenwidrigkeit einer Auflage nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden, ein solcher sei jedoch gegeben. Wenn ein Erblasser „durch seine Verfügung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände einen nicht zu billigenden Druck auf die Entschließungsfreiheit oder andere Rechte des Bedachten ausübt“ (Rn. 34), sei eine Sittenwidrigkeit der Auflage anzunehmen und diese aus diesem Grund nichtig. Vorliegend sei die Tochter der Erblasserin durch das Betretungsverbot stark in ihrer privaten und höchstpersönlichen Lebensführung eingeschränkt, da eine Person, die zum „Kernbereich“ (Rn. 36) ihrer Lebensführung gehöre, ihr Eigentum nicht betreten dürfe. Weiterhin könne das Eigentum nicht durch ein Betretungsverbot geschützt werden. Erst die zweite Auflage, die eine Veräußerung, Schenkung oder Übertragung untersage, diene diesem Schutz. Außerdem sähe die erste Auflage des Betretungsverbotes keine Ausnahmen vor, sodass selbst in Notfallsituationen eine den Erbinnen am nächsten stehende Person das Grundstück nicht betreten könne, ohne die Veräußerung des Grundstücks zu vermeiden. Damit kommt das LG Bochum zu dem Schluss:

„Eine derartige Einflussnahme der Erblasserin auf die Entschließungsfreiheit ihrer Erbinnen ist von der Rechtsordnung auch unter Berücksichtigung der Testierfreiheit der Erblasserin nicht hinzunehmen und damit sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen.“ (Rn. 39)

Nach Ansicht des LG ist die Auflage des Betretungsverbots somit nichtig, während das Veräußerungsverbot ein redliches Ziel verfolge und mithin eine wirksame Auflage darstelle.  

OLG Hamm (Pressemitteilung v. 19.07.2023):
Gegen diese Entscheidung wandte sich der Beklagte in seiner Berufung an das Oberlandesgericht Hamm (OLG). Auch das OLG verwies in seiner Pressemitteilung darauf, dass die grundgesetzlich geschützte Testierfreiheit zu beachten sei und eine Sittenwidrigkeit, die zu einer Nichtigkeit einer Auflage führt, deshalb nur in engen Ausnahmefällen angenommen werden dürfe. So führt das OLG konkretisierend aus:

„Ein schwerwiegender Ausnahmefall, der zur Sittenwidrigkeit einer Bedingung führen kann, ist immer nur dann anzunehmen, wenn in der Abwägung zwischen der Testierfreiheit der Erblasserin und den Freiheitsrechten der Betroffenen anzunehmen ist, dass die nur bedingte Zuwendung einen unzumutbaren Druck auf die Bedachten ausübt, sich in einem höchstpersönlichen Bereich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten.“

In Abgrenzung dazu seien Bedingungen, die die Nutzung eines vererbten Vermögensgegenstandes beträfen, grundsätzlich zulässig. Entscheidend sei vorliegend, dass das zuvor praktizierte Familienleben mit dem langjährigen Lebensgefährten der Tochter der Erblasserin, welches auch schon vor dem Tod der Erblasserin in den vererbten Räumlichkeiten stattgefunden habe, in gewohnter Form nicht mehr fortgeführt werden könne. Es sei davon auszugehen, dass die Erblasserin ihre Tochter und ihre Enkelin auch ohne die nichtige Auflage zu Erbinnen eingesetzt hätte, sodass diese auch bei Annahme einer Nichtigkeit der Auflagen Erbinnen blieben. Mithin entfalle lediglich die sittenwidrige Bedingung des Betretungsverbots.  

Der beklagte Testamentsvollstrecker nahm seine Berufung nach der rechtlichen Einschätzung des OLG zurück und das Urteil des LG wurde rechtskräftig.

Hinweis: An dieser Stelle ist erneut darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Annahme einer Sittenwidrigkeit einer Auflage um Ausnahmefälle handelt. Grundsätzlich ist ein Testament frei zu gestalten, dies garantiert das Grundgesetz. Deutlich wird der Ausnahmecharakter auch an der vorliegenden Entscheidung des LG Bochum. Dieses differenziert zwischen den beiden Auflagen und hält nur eine der beiden für sittenwidrig. Gerade deshalb sollte jede Auflage stets – wenn auch nur theoretisch – auf ihre Sittenwidrigkeit hin überprüft werden.

Quelle: LG Bochum, Urt. v. 29.04.2021 – 8 O 486/20
Pressemitteilung des OLG Hamm v. 19.07.2023

Relevante Norm:

§ 1940 BGB – Auflage
Der Erblasser kann durch Testament den Erben oder einen Vermächtnisnehmer zu einer Leistung verpflichten, ohne einem anderen ein Recht auf die Leistung zuzuwenden (Auflage).

©AdobeStock: Header: Ingo Bartussek; Beitragsbild: U-JAlexander

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